Studentische Partizipation in der Hochschullehre initiieren

Handreichung für Lehrende.


6. Studentische Partizipation braucht und schafft Nähe, Identifikation und Vertrauen

Für studentische Partizipation in der Hochschullehre, bei der Lernende und Lehrende gemeinsam Verantwortung für die Planung, Durchführung und Evaluation von Lehrveranstaltungen übernehmen und Entscheidungen gemeinsam treffen, haben wir einige Bedingungen identifiziert: Auf beiden Seiten muss sowohl die Bereitschaft, Verantwortung abzugeben und die Bereitschaft Verantwortung anzunehmen als auch gewisse Kompetenzen vorhanden sein, die beides ermöglichen. Wenn Lehrende Entscheidungsmacht abgeben wollen, aber nicht wissen, wie sie dies den Studierenden vermitteln sollen oder nicht transparent agieren, dann können Studierende die Verantwortung nicht annehmen oder bemerken gar nicht, dass es die Möglichkeit dazu gibt. Neben der Bereitschaft und den Kompetenzen auf beiden Seiten, beschreibt die wissenschaftliche Literatur das Verhältnis von Nähe und Distanz als relevant. Das lässt sich auf unterschiedliche Weise untersuchen.

Ricarda Bouncken (vgl. u.a. 2011) benennt vier Formen von Nähe, die gemeinsame Wissensarbeit beeinflussen: physische, emotionale, kognitive und psychische Nähe (vgl. Bouncken 2011: 252). Interessant für unsere Arbeit ist hierbei, dass z.B. nicht die emotionale Nähe zwischen den Parteien gemeint ist, sondern eher eine konvergente oder vergleichbare emotionale Beziehung der Parteien zu einem Sachverhalt oder Thema. Ebenso verhält es sich z.B. bei der kognitiven Beziehung, die bei Lehrenden und Studierenden gemeinsames intellektuelles Wissen, Einstellungen oder Überzeugungen entstehen lässt. Es handelt sich laut Bouncken um eine wechselseitige Informationsübermittlung und dadurch um eine kollaborative gemeinsame Neukonstruktion von Wissen.

Ein weiteres Ergebnis in der eingangs erwähnten Studie von Ditzel und Bergt ist, dass das Verhältnis von Studierenden zu ihrer Hochschule Einfluss auf ihre Partizipationsneigungen hat. Da viele Studierende in der Umfrage äußerten, dass sie sich zu Beginn des Studiums schnell als unwichtiger Teil einer anonymen Masse gesehen haben, gehen Ditzel und Bergt davon aus, dass die Bindung an Institute und Lehrende prägend ist für den Wunsch, in irgendeiner Weise zu partizipieren (vgl. Ditzel/ Bergt 2013: 184). Deshalb spielt Partizipation in der Lehre aus unserer Sicht eine Rolle für die Nähe-Distanz-Dynamik unter Studierenden und prägt deren wissenschaftliche Entwicklung. Diese Dynamik ist, so zeigt die Befragung, eben keine kontinuierliche Entwicklung, sondern ist geprägt durch Brüche und Unregelmäßigkeiten (vgl. ebd.: 178).

Ein Mangel an Information oder Kommunikation kann studentische Partizipation und das Interesse, sich aktiv an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, sowohl in der Hochschule allgemein als auch in der Lehre negativ beeinflussen. Daraus folgt, dass Lehrende, die Partizipation ermöglichen wollen, zum einen ihre eigenen Erwartungen und ihr Rollenverständnis kommunizieren sollten (dazu gehört auch Grenzen aufzuzeigen) und zum anderen abfragen sollten, welche Erwartungen und welches Rollenverständnis Studierende von sich selbst haben. Denn nur so kann eine gemeinsame Neukonstruktion von Wissen (vgl. Bouncken 2011: 253) und wirkliche Partizipation und Vertrauen entstehen.

Bezogen auf die Hochschullehre gibt es noch einige Aspekte, die in Bezug auf Vertrauen mitgedacht werden sollten. Dies ist einerseits Selbstvertrauen, welches sich sowohl auf Studierende als auch auf Lehrende bezieht. Außerdem ist damit das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die hochschulischen Standards zu erfüllen und das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen, um mit Unsicherheiten umgehen zu können, gemeint. Das Fremdvertrauen, womit das Vertrauen in die anderen Studierenden, Vertrauen in die Lehrperson und auch Vertrauen in die Hochschule im Allgemeinen gemeint sind, ist ebenfalls relevant. Hierbei wird auch das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Verantwortungsbereitschaft der Studierenden mitgedacht. Außerdem gibt es noch “wissenschaftliches Vertrauen” innerhalb einer Scientific Community, also beispielsweise das Vertrauen in die Geltung und Plausibilität von Interpretationen.

Das Abgeben und Übernehmen von Verantwortung ist an Vertrauen zwischen den einzelnen Personen gebunden. Vertrauen ist somit eine Bedingung für Partizipation. Gleichzeitig kann Vertrauen durch Partizipation aber auch gefördert werden. Je mehr Entscheidungsraum Studierende haben, umso größer muss das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und den Willen der Studierenden sein. Lehrende vertrauen darauf, dass die Studierenden verantwortungsbereit/-bewusst und selbstständig arbeiten.

Vorschläge für die Lehrpraxis:

A. Das authentische Auftreten, sowohl von Lehrenden als auch Studierenden ist wichtig, um Vertrauen zueinander aufzubauen. Du könntest beispielsweise in passenden Momenten deine eigene Meinung und deine subjektiven Erfahrungen mit deinem Gegenüber teilen. Hierbei ist immer wichtig, dass du dich dabei wohlfühlst, denn es ist natürlich kein Muss, in einer Lehr-Lernveranstaltung über Privates zu sprechen. Deine eigene Haltung und Rolle in der Veranstaltung sollten stets für alle Beteiligten klar sein.

B. Es kann auch vorkommen, dass Studierende und Lehrende sich durch die ungewohnte emotionale und persönliche Ebene überfordert fühlen, hier sollte also stets mit Fingerspitzengefühl gearbeitet werden.

C. Um Nähe untereinander aufbauen zu können, ist ein Perspektivwechsel und das Hineinversetzen in das Gegenüber zu empfehlen. So können beispielsweise Lehrende den Studierenden einen Einblick in Ihre Perspektive aus Lehrendensicht ermöglichen.Hier ist eine offene Kommunikation hilfreich.

D. Für eine von Vertrauen geprägte Lehr-Lern-Veranstaltung ist es wichtig, dass Studierende als Subjekte wahrgenommen werden: Während es in größeren Veranstaltungen eher schwierig ist, die Namen aller Studierenden zu kennen, kann es in kleineren Veranstaltungen bereits sehr hilfreich sein, die Namen der Studierenden (und für Studierende auch die der Kommiliton*innen) zu wissen.

E. Eine gewisse Hierarchie ist fast immer zwischen Studierenden und Lehrenden vorhanden, was zumeist an der Notenvergabe liegt. Dies sollte im Hinterkopf behalten werden, wenn auffällt, dass Studierende sich nicht trauen, Kritik oder Rückmeldungen zu äußern. Um der Notenvergabe den negativen Charakter zu nehmen, kann eine partizipative Notengebung mit Hilfe von transparenten Bewertungskriterien eingesetzt werden.

F. Die gegenseitige Wertschätzung, auch außerhalb vom Prozess der Notenvergabe, ist zudem unverzichtbar. Lehrende können beispielsweise wertschätzend mit Studierenden umgehen, indem Sie Ihnen offen mitteilen, wenn Arbeitsergebnisse gut gelungen sind.

Reflexionsfragen:


Vorwort« 1. Was ist...?« 2. Handlungsraum« 3. Kontinuität« 4. Gemeinschaftsaufgabe« 5. Feedback« 6. Nähe, Identifikation & Vertrauen» 7. Abschluss, Unterstützer*innen und Quellen

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